Morgenstund hat Gold im Mund

Fast vier Uhr – Aufstehen! Das ist die wohl schönste Ruderwache am Tag, aber auch von der Hundewache sind noch alle gut gelaunt. Als ich an Deck komme, weiß ich auch warum. Es bietet sich ein ähnliches Spektakel wie schon am Abend davor, als die Sonne im Westen unter und der fast runde Mond auf der anderen Seite im Osten aufging, und wir gar nicht wussten, in welche Richtung wir uns drehen sollten.

Ich merkte schon: hier wird sich noch ein viel eindrucksvolleres Spiel zeigen. Die angeknabberte Mondkugel färbt sich in ein sattes dottergelb und bringt die ringsum liegenden Nebelschwaden zu einem mystischen Glühen. Die letzten Sterne versuchen mit aller Kraft noch so hell wie möglich zu leuchten, bis der Mond von den schwarzen Wolkenstreifen und den dunkelen Meereswogen verschlungen wird.

Die Sonne aber lässt sich so eine Schönheitskonkurenz nicht bieten und bereitet einen Auftritt vor, den sie in Milliarden von Jahren geübt hat, der aber heute so schön wie noch nie sein soll.

Lange dauert das Vorspiel. Sehr langsam färbt sich der östliche Horizont in ein dunkles Rot. Der genaue Beobachter kann mitverfolgen, wie sie die Schichten verschieben. Es bildet sich eine Farbpalette, die man sich eher bei einem Maler als an einem Himmel vorstellen kann. Alle Varianten von gelb, rosa, rot, violett, blau und sogar grün sind vorhanden. Der obere Wolkenstreifen wird immer heller, die Wolken dicht am Horizont sehen aus wie Gebirge einer Inselkette. Eine Stunde lang braut sich etwas zusammen.

Und plötzlich, die Berge brechen auf, es fließt heraus ein glühender Lavastrom. Das flüssige Magma breitet sich aus auf die ganze Gebirgskette, man wartet nur noch auf eine Explosion mit einem unvorstellbaren Grollen. Aber unsere Sonne braucht keinen Donner für ihren Auftritt. Jetzt steigt sie hervor, zügig aus dem dunklen Meeresgrau, strahlender als alles andere aus diesem leuchtenden Spektakel. Auch die Wellen spielen nun mit und glitzern und funkeln auf ihren Spitzen, wie noch ein paar Stunden zuvor die Sterne vom schwarzen Nachthimmel.

Die Wolken geben ihre Farbe wieder ab, denn jetzt braucht die Sonne keine Unterstützung mehr, so goldglänzend wie sie dasteht, so mächtig und schön wie noch nie und wärmt uns für einen weiteren aufregenden Tag.

Rita

Mittagsposition: 39°28,1'N 068°16,7'W; Etmal: 72sm

Wir haben heute unseren 2. Funkspruch an den Eisbrecher abgesetzt.