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Rekordetmal: Tief katapultiert uns 170sm nach Osten
Kurz vor vier Uhr in der Frühe werde ich schweißgebadet und mit heißer Stirn aus wirren Träumen geweckt. Der Wind hatte während der Hundewache aufgefrischt und wir mussten nun Segel kürzen. Innenklüver und Obermars wurden geborgen, schnell das Obermarsnockhorn auf der Backbordseite wieder an der Rahnock befestigt. Die Reileine am Oberliek des Großsegels war gerissen, und das Segel löste sich langsam von der Gaffel. Mit aufgegeiter Untermars, Vorstag und Großstag versuchten wir, das Schiff in den Wind zu drehen, um das Großsegel bergen zu können. Schließlich musste sich auch das Groß geschlagen geben, die Hundewache durfte nach fast zwei Überstunden abtreten und kochte noch eine heiße Nudelsuppe, die nach dem langen Segelmanöver sehr gut tat.
Bei 6bft genau aus West, und nur mit Vorstag, Großstag und Untermarssegel flogen wir mit über sieben Knoten der Sonne entgegen.
Riesige Gebirge aus Wasser erstreckten sich bis zum Horizont, an manchen Stellen ließen die Wolken die Sonne durchscheinen und tauchten die Wogen in ein Silbergrau.
Das Schiff so vor dem Wind und den Wellen zu steuern machte riesig viel Spaß.
Zu Mittag kochte die Mädelwache Spiralnudeln Carbonara und Spiralnudeln mit rotem Pesto. Sehr lecker.
Nachmittags frischte der Wind weiter auf. Das wir die 22°23’W in der Nacht überschritten hatten, hieß es zur Jause „Besanschot an!“, und Balo steuerte unser Schiff bei stürmischen acht Baufort durch die schäumende See. Gelegentliche Brecher, die ihren Weg über die Bordkante durch die Skylights in die Messe fanden, sorgten neben Gesang, Port und Orangina für Stimmung.
Schnüffel probierte unfreiwillig die Skylightdusche aus, die sich bei derart stürmischer See auf Backbordbug fahrend genau über Gunthers Koje – oder nennen wir es besser Wasserbett – befindet. Für Schüffel war heute Badetag, und so wurde sie auch gegen Abend erneut gewaschen, als sie den Innenklüver auspackte.
Der Wind war für kurze Zeit fast vollständig eingeschlafen, und die Obermars wurde den anderen vier Segeln zur Verstärkung gesetzt. Wir hatten also den Einflussbereich des Tiefs verlassen, an dessen südlichem Rand wir heute den ganzen Tag nach Osten katapultiert worden waren. Resultat: Rekordetmal von stolzen 170 Seemeilen. Und noch etwa 450 Seemeilen bis nach Brest. Solchen Wind wie in den vergangenen Tagen hatte wir uns eigentlich für die gesamte Fahrt erhofft. Heute ist der 49. Tag auf See, sieben Wochen sind seit dem Auslaufen in Miami vergangen. Sieben Wochen waren während der Planung des Törns und der Kalkulation für die Lebensmittel der Extremfall. „Allerhöchstens sieben Wochen“, das hatten wir zu Hause auch unseren Familien, Freunden, unserem Arbeitgeber erzählt. Umso erfreulicher war es nun, dass wir bald in Brest ankommen würden. Hält der Wind? Schaffen wir es noch vor dem Wochenende?
Ich persönlich mag die euphorische, oft übermütige Stimmung, die sich gegen Ende längerer Fahrten einstellt, nicht. Man neigt dazu, anderen Sachen an den Kopf zu werfen, die schon länger in einem gebrodelt haben. Anstatt besonnen Kritik zu äußern, verletzt man sich gegenseitig im Übermut. Ich bin gespannt, wie wir das Ende der Fahrt in Bezug auf die Stimmung hinkriegen.
Steff
Mittagsposition: 50°19,5'N 018°26,2'W; Etmal: 130sm
Zusatzeintrag: 11. Juni, 15:30 Uhr
Ich bin das erste Mal aus dem Bett gefallen! Trotz festgestelltem Laufstall. Wie geht denn so was? An Deck sind die Wellen einfach viel genialer als unter Deck! Bei so einem tollen Wetter möchte man die ganze Zeit am Steuer stehen – wenn man nur nicht schlafen müsste!
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